Eingebildet oder nicht – Rivalität kann durchaus eine feine Sache sein. Sie würzt Erfolge, und im Misserfolg genügt schon der kurze Blick auf einen vielleicht noch erfolgloseren Rivalen, um das eigene Versagen ruckzuck erträglicher zu machen. Rivalität erhöht ein an sich stinknormales Fußballspiel zum Glaubenskampf. Rivalität erschöpft sich nicht in Sieg und Niederlage, sie schreit verlangend nach Triumpf und Demütigung. Wenn dieser emotionale Zustand die Fußballfans im Ruhrpott erfasst hat, dann wissen wir: Es ist Derbytime!
Für jemanden wie mich, der peinlich genau darauf achtet, dass in den Regalwänden seines Arbeitszimmers kein gelbes Buch neben einem schwarzen steht, sind damit die wichtigsten Tage des Jahres angebrochen. Der aktuell einzige Referenzpunkt meiner persönlichen Zeitrechnung ist Freitag, der 26. Februar, 20:30 Uhr. Ich fiebere diesem Moment entgegen, weil die Begegnung zwischen Königsblau und Schwattgelb für mich all das verkörpert, was ein nicht alltägliches Fußballspiel von einer humorlosen Pflichtveranstaltung unterscheidet, nämlich die leidenschaftliche Konfrontation mit einem sportlichen Feindbild. Ja, ich sage bewusst und trotzig „Feindbild“, weil sich das angeblich kaum noch beherrschbare Konfliktpotential, das dem Derby mit wachsender Begeisterung angedichtet wird, ohnehin nicht durch eine weichgespülte Wortwahl glattbügeln ließe. Ob Feind oder „nur“ Gegner bleibt sich in letzter Konsequenz gleich. Schließlich vermag das Vokabular keine Emotionen zu kastrieren.
Ist auch gar nicht notwendig. Denn mit halbgescheiten Schlichtungsversuchen sind derzeit schon andere unterwegs: Weil es dem BvB ein besonderes Anliegen gewesen sei, so Frank Arndt vom Schalker Fan-Club Verband, werde der Supporters-Club sein inzwischen legendäres Fanbanner mit dem Hinweis auf eine gewisse Blockfahne, die mal im „Süden“ gehangen haben soll, durch ein weniger Anstoß erregendes Fähnlein ersetzen. Super Idee! Darf ich mal raten, wieviele Borussen mich am Freitagabend wegen dieser weltentrückten Deeskalationsmaßnahme auch nur einen winzigen Hauch sympathischer finden werden? Warum fordert man nicht gleich noch den in Dortmund beheimateten Schalke-Fanklub „Blau-Weißer Stachel“ dazu auf, seinen Namen zu ändern? Immerhin könnte sich ja einer unserer schwattgelben Gäste auf den zart besaiteten Schlips getreten fühlen.
Wem soll solcher Show-Aktionismus nutzen? Schwört eine gewaltbereite Minderheit nun ihrer ursprünglichen Motivation ab? Oder will man den überwältigenden Rest der 60.000 Fußballfans zu tickenden Zeitbomben erklären, die allesamt nicht mehr zwischen wechselseitiger Provokation und persönlichem Angriff zu unterscheiden wissen? Es scheint fast so. Denn wie anders kann man sich sonst den Appell der Vereine an ihre Fans erklären, „diskriminierende Gesänge“ zu unterlassen? Bekomme ich etwa am Freitagabend vor Spielbeginn einen Zettel mit offiziell erwünschtem Liedgut in die Hand gedrückt? Bei aller Liebe, aber dieser Aufruf ist mir eine Spur zu harmoniebedürftig!
Der bedingungslose Verzicht auf Gewalt bleibt selbstverständlich unantastbar. Die körperliche Unversehrtheit eines jeden einzelnen Stadionbesuchers muss gewährleistet sein. Darüber brauchen wir kein weiteres Wort zu verlieren. Doch die einzigartige Faszination der Rivalität zwischen Königsblau und Schwattgelb resultiert eben auch aus solchen unvergesslichen Reibungspunkten, die uns die reinen sportlichen Erlebnisse alleine nie hätten bieten können. Um nicht erwünschten Tendenzen sinnvoll zu begegnen, sollte genau diese Tradition weiterhin offensiv vermittelt werden, anstatt die jüngere Geschichte des Derbys mit phantasielosen Kunstgriffen vergessen machen zu wollen.
Glaubwürdigkeit braucht keine Zensur – und der Geist des Derbys keine repressiven Vorschriften!